Mikrogravitationsforschung mit inertialen Sensoren

Der GraviTower Bremen des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen setzt einen weiteren Meilenstein für Forschung unter Mikrogravitationsbedingungen. Mit dabei sind hochgenaue inertiale Sensoren von ASC, welche helfen, die annähernd schwerelosen Bedingungen der Experimente zu verifizieren, Messergebnisse korrekt zu erfassen und weiterzuverarbeiten.

Einzigartige Experimente in ‚Schwerelosigkeit‘

Das ZARM betreibt ein weltweit einzigartiges Forschungslabor: In seinem Fallturm können wissenschaftliche und technologische Kurzzeitexperimente unter nahezu schwerelosen Bedingungen durchgeführt werden.

Der jeweilige Experimentaufbau wird dazu in eine Kapsel integriert, in der während des freien Falls aus 120 Metern Höhe innerhalb eines Vakuumrohrs 4,7 Sekunden lang schwerelose Bedingungen vorherrschen. Schleudert man die Kapsel mittels eines Katapultsystems vom Boden aus hoch, befindet sie sich sowohl in der Aufwärtsbewegung zur Turmspitze als auch im anschließenden Fall in Schwerelosigkeit, was die Experimentierzeit nahezu verdoppelt.

„Mit einem Millionstel der Erdanziehungskraft gelingt es, Forschenden einzigartige Bedingungen für hochqualitative Versuche zur Verfügung zu stellen“, sagt Anna Becker, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am ZARM. „Und mit 9,3 Sekunden bieten wir im Katapultbetrieb auch die längste nahezu schwerelose Experimentierdauer unter sämtlichen erdgebundenen Anlagen weltweit.“

Wissenschaftsteams aus aller Welt kommen daher nach Bremen, um Experimente in Mikrogravitation durchzuführen. Diese reichen von physikalischer Grundlagenforschung über Astrophysik, Biologie, Chemie, Verbrennungsforschung, Strömungsmechanik, Materialerprobungen bis hin zur Erforschung des Verhaltens von Technologien, Hardware, Gasen, Flüssigkeiten oder biologischen Prozessen welche später bei tatsächlichen Raumfahrtmissionen zum Einsatz kommen sollen.

Vielfache Effizienz: GraviTower Bremen

Doch nicht jede wissenschaftliche Versuchsanordnung hat so hohe Anforderungen an die Dauer und Qualität von Schwerelosigkeit. Deshalb hat das ZARM seine Anlage im Jahr 2022 um den GraviTower Bremen ergänzt. „Seither können wir Ergebnisse schneller reproduzierbar und validierbar machen und Forschenden noch mehr Kapazität bieten“, so Becker.

Denn um im Fallturm bestmögliche „Schwerelosigkeit“ zu erreichen, muss der Luftwiderstand durch Erzeugung eines Vakuum eliminiert werden. Dafür müssen vor jedem Versuch rund 1.700 m3 Luft aus dem Fallrohr gepumpt werden. Dies erfordert Zeit, sodass täglich maximal drei Einzelexperimente möglich sind. Der GraviTower hingegen benötigt kein Vakuum und ermöglicht daher eine Wiederholrate von über 20 Experimenten pro Stunde, bei maximaler Dauer von 2,5 Sekunden in Schwerelosigkeit. „Damit konnten wir seit 2022 bereits fast 10.000 Versuche im GraviTower durchführen – annähernd so viele wie im Fallturm seit dessen Betriebsbeginn im Jahr 1990“, meint Becker.

Statt eines Katapults wird im GraviTower ein aktiver Seilantrieb verwendet, mit dem ein sogenannter Schlitten als Träger der Experimentkapsel auf die benötigte Geschwindigkeit beschleunigt wird. Die Trajektorie des Schlittens entspricht einer vertikalen Parabel – dem gleichen Prinzip wie beim Katapultsystem. Nach der Beschleunigung wird das Experiment vom Schlitten mechanisch abgekoppelt und befindet sich anschließend für maximal 2,5 Sekunden als berührungsloses Objekt im schwerelosen Zustand. Der Schlitten schirmt dabei die Experimentkapsel von den Störungen der Umgebungsluft ab, wobei der Seilantrieb die Abbremsung durch den Luftwiderstand kompensiert. Am Ende des freien Falls wird die Experimentkapsel schließlich wieder an den Schlitten gekoppelt und beide werden durch den Seilantrieb abgebremst.

High-performance Sensoren für Schwerelosigkeitssimulation

„Wir überprüfen laufend mit hochpräziser Sensortechnologie, dass unsere innovativen Forschungsanlagen immer die geforderten Weltraumbedingungen liefern“, so die Expertin.

Seit Jahren setzt das ZARM triaxiale Beschleunigungs- und Drehratensensoren von ASC an verschiedensten Stellen seiner Experimentkapseln ein. Ein kritischer Parameter ist möglichst geringe Restbeschleunigung im Experiment. „Um derart kleine Beschleunigungen sinnvoll messen zu können, benötigen wir hochpräzise Sensorik“, sagt Becker. Der ASC EQ-3211-005 Accelerometer zeichnet sich durch ein äußerst niedriges Rauschlevel aus und erreicht damit eine Auflösung von besser als 1 µg. „Ohne diese Performance wäre es unmöglich, die angestrebte Qualität der Mikrogravitation nachzuweisen, die typischerweise in der Größenordnung von 1 Millionstel der Erdbeschleunigung  (10-6 g) liegt.”

Ein weiterer kritischer Parameter für die Mikrogravitationsforschung in Bremen ist die exakte Erfassung und Verarbeitung minimaler Winkelgeschwindigkeiten, die typischerweise bei Falltests beobachtet werden. ASC 283-010 Gyroskope weisen einen vergleichsweise kleinen Messbereich von +/-10 °/s auf. Selbst minimale Rotationsgeschwindigkeiten der Kapseln können damit während des freien Falls hochauflösend erfasst werden. Grundlage dafür ist die ‚Tactical Grade Performance‘ der Drehratensensoren mit einer Bias-Stabilität von besser 0,1 °/h und einem Angular Random Walk von unter 0,01 °/√h.

Mond, Mars & darüber hinaus

Die Beschleunigung über den Seilantrieb im GraviTower ermöglicht es nicht nur, die Versuchskapseln quasi in Schwerelosigkeit zu versetzen, sondern auch die spezifischen, partiellen Gravitationsbedingungen von Mond, Mars, anderen Planeten und Himmelskörpern zu simulieren. „Nach jedem einzelnen Experiment können die Wissenschafter auf den Versuchsaufbau zugreifen und diesen bei Bedarf variieren oder bereits erste Daten auswerten. Diese Kombination aus sehr hoher Qualität von Mikrogravitation und dem direkten, uneingeschränkten Zugriff auf das Experiment nach jedem Experimentflug ist einzigartig“, sagt Becker.

Damit die hochsensiblen Experimente unter konsistenten, kontrollier- und reproduzierbaren Bedingungen ablaufen, müssen alle in Fallkapseln eingebettete Sensoren in Bremen höchste Beschleunigungs- und Bremskräfte von bis zu 50 g aushalten. „Wir schätzen die Zuverlässigkeit, Stabilität und Robustheit der ASC-Sensoren sehr. Sie sind ein wesentlicher Faktor, um Forschenden aus aller Welt die herausragende Qualität und Quantität unserer ZARM-Forschungseinrichtungen in Bremen anbieten zu können“, ist die Wissenschaftlerin überzeugt.

Mehr erfahren:
ASC EQ-Serie Beschleunigungssensoren
ASC 283 Drehratensensor

© ZARM Universität Bremen

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Anfrage: Mikrogravitationsforschung mit inertialen Sensoren

Anzahl Achsen
Anzahl Achsen
Sensortechnologie
Sensortechnologie
Temperatur min - max
Temperatur min - max
Sensorart
Sensorart

ASC 4311LN

Uniaxial, kapazitiv
Messbereich: ±2 bis ±400 g
Rauschdichte: 7 bis 400 µg/√Hz
Frequenzbereich (±5 %): DC bis 2000 Hz

ASC OS-115LN-PG

Uniaxial, kapazitiv
Messbereich: ±2 bis ±400 g
Rauschdichte: 7 bis 400 µg/√Hz
Frequenzbereich (±5 %): DC bis 2000 Hz